Dabei hatten die Teilnehmenden des Fachtages Gelegenheit, sich über bereits etablierte Quartiersprojekte in NRW zu informieren und eigene Erfahrungen in diesem Handlungsfeld austauschen.
Der Geschäftsführer der Domus Caritas gGmbH, Burkhard Baumann, begrüßte alle Anwesenden - sowohl Teilnehmende aus Quartiersprojekten und Verbänden aus ganz NRW und darüber hinaus als auch Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft, der Verwaltung und der Politik auf kommunaler, Kreis- und Landesebene. "Wir möchten heute ein weites Netz spannen und ein Forum für den Austausch bieten."
Nach dem ersten Fachtag vor zwei Jahren, bei dem der wissenschaftliche Blick auf "Quartiersarbeit als notwendiges Element der sozialen Stadtentwicklung" und erste Umsetzungsschritte im Quartiersprojekt "Wohnen und Leben in Borghorst" im Vordergrund standen, gehe es bei diesem Fachtag darum, "aus der Praxis zu hören und über den Austausch und die Informationen zu Praxisbeispielen hinaus auch schon zu Fragen der Wirkung, der Verstetigung und Nachhaltigkeit von Quartiersarbeit zu gelangen und insofern einen Schritt weiterzugehen", so Baumann.
In ihrer Ansprache erklärte die Steinfurter Bürgermeisterin, Claudia Bögel-Hoyer, dass die Quartiersarbeit mit dem Nachbarschaftshaus Michael als sozialer Treffpunkt für die Stadt wichtig sei, um Einsamkeit vorzubeugen und Teilhabe zu ermöglichen. Als Beispiel dafür nannte sie das "Digital Café", bei dem sich Seniorinnen und Senioren die Funktionen ihres Smartphone von jungen Leuten erklären lassen können.
In seinem verlesenen Grußwort erklärte der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Karl-Josef Laumann, dass es der "demografische Wandel mit sich bringt, dass die Pflege- und Unterstützungsbedarfe zunehmen werden. Gleichzeitig stoßen Versorgungssysteme an ihre Grenzen, weil die Ressourcen an Fachkräften begrenzt sind." Und weiter: "Um Selbstbestimmtheit, Sicherheit und Gesundheit zu gewährleisten, braucht es altersgerechte Quartiere, Stadtteile und Dörfer, die umfassende Teilhabe und das Miteinander von Jung und Alt ermöglichen, die getragen sind von Wertschätzung und Respekt. Lebendige Quartiere mit engagierten Menschen und verlässlichen Anlaufstellen, wenn Rat und Tat benötigt werden", und unterstützte somit die Intention der Quartiersprojekte auf landespolitischer Ebene. "Was geht und wie es richtig geht, dass zeigen Sie mit Ihrem Quartiersprojekt ‚Wohnen und Leben in Borghorst’ mit dem dazu gehörigem Nachbarschaftshaus Michael und das zeigen die Städte Hamm und Bocholt mit ihren altersgerechten Quartieren", würdigte Laumann die vorgestellten Quartiersprojekte.
Roswitha Reckels vom Kreis Steinfurt überbrachte die Grüße des Landrats, Dr. Martin Sommer, und machte deutlich, dass der wachsende Druck auf die Pflege, den der Bundesgesundheitsminister vor Kurzem "explosionsartigen Anstieg" der Zahl der Pflegebedürftigen genannt habe, auch den Kreis Steinfurt betreffe. "Wir sehen in der Pflege keinen leichten Zeiten entgegen - salopp gesagt", so die Ansprechpartnerin im Amt für Soziales und Pflege. Dabei sei neben diversen anderen Handlungsfeldern die Quartiersentwicklung und das altengerechte Wohnen ein wichtiger Bestandteil der aktuellen Pflegeplanung. "Ich finde es ausgesprochen klasse, dass die Domus Caritas heute das Quartier in den Fokus nimmt, sowohl hier in Borghorst mit Angeboten und mit dem heutigen Fachtag", betonte Roswitha Reckels.
Der Direktor des Diözesancaritasverbandes, Dr. Christian Schmitt, erklärte in seinem Grußwort, dass früher häufig die örtliche Kirchengemeinde bereits viel Quartiersarbeit geleistet habe. "Das ist heute nicht mehr so, da Strukturen weg gefallen sind." Daher müssten neue Modelle gedacht werden, wie die "Care-Arbeit" im Stadtteil weiter entwickelt werden kann. "Dabei spielt aus caritasverbandlicher Sicht die Quartiersarbeit eine wesentliche Rolle", so Schmitt. Dafür brauche es jedoch verlässliche Rahmenbedingungen und Strukturen für eine weiterhin gelingende Zusammenarbeit von beruflich Mitarbeitenden und freiwillig Engagierten.
In einer ersten Präsentation stellten Christiane Mitlewski von der Fachstelle "Leben im Alter der Stadt Hamm" sowie Conny Schmidt von Mayday Rhynern e.V. das Quartiersprojekt "Älterwerden in Hamm! Lebenswert. Selbstbestimmt. Mittendrin. - von der Idee des Quartiersprojektes bis hin zur praktischen Umsetzung" vor und gingen dabei auch auf Hintergründe und die Finanzierung ein. "Ein Leitziel des Projektes ist die Prävention von Vereinsamung durch den Auf- und Ausbau nachbarschaftlicher Informations- und Hilfenetzwerke und die Schaffung umfassender Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe", so Christiane Mitlewski. Aus dem Projekt im Stadtteil Rhynern sei mittlerweile ein nachhaltiges und stadtweites Handlungskonzept unter Einbeziehung aller beteiligten Ämter und Träger mit politischer Legitimation und Auftrag durch den Stadtrat entwickelt worden.
Im zweiten Vortrag stellte Lukas Kwiatkowski von der Stadt Bocholt die Leitziele der Quartiersentwicklung in Bocholt vor. Die Verhinderung sozialer Notlagen und die Reduzierung sozialer Benachteiligung sollen unter anderem durch mehr Nachbarschaft und sozialem Zusammenhalt erreicht werden. Darüber hinaus will die Stadt mehr Bürgernähe und Teilhabe herstellen und zudem Gesundheit und Prävention fördern.
In der dritten Präsentation ging Thorsten Mehnert vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) auf die Erfolgsfaktoren zur Verstetigung von Quartiersprojekten ein. "Dabei muss Verstetigung als Prozess verstanden werden, der nicht dem Zufall überlassen bleiben sollte", so Mehnert. Verstetigung brauche hauptamtliche Begleitung und "Ankerpunkte" als Keimzellen der Verstetigung. Zudem müssten Erfolge und Wissen gesichert und sichtbar gemacht werden. Die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten sei ein grundlegender, aber nicht der einzige Bestandteil eines Verstetigungsprozesses. Zudem setze Verstetigung ebenfalls bei den Akteuren, den Kooperationen im Quartier und ihren Ressourcen an. In einer anschließenden Workshop-Phase konnten Methodik und Schwerpunkte der Quartiersentwicklung in drei themenorientierten Gruppen vertieft werden.
"Im Wesentlichen sollte der Fachtag dazu beitragen, auf die Frage 'Kann Quartiersarbeit die Zukunft in der Daseinsverantwortung für Bürgerinnen und Bürger sein?' eine Antwort zu generieren", resümiert Quartiersmanagerin Verena Wilmer, die für die Organisation des Fachtages verantwortlich zeichnete.
"Insbesondere die Praxisbeispiele aus Hamm und Bocholt haben deutlich gezeigt, wie wertvoll und weit reichend das Spektrum der Quartiersarbeit ist", so Verena Wilmer. Zu benennen seien unter anderem die Teilhabe an Angebotsstrukturen, die Lotsenfunktion, die Ehrenamtskoordination, die Prävention von Vereinsamung und Gesundheitsförderung, die Schaffung von niederschwelligen Zugängen sowie Netzwerkaufbau und -weiterentwicklung auf allen Ebenen.
"Mit diesen breiten und zugleich bürgernahen Merkmalen ist Quartiersarbeit sicherlich ein wertvoller Garant in der kommunalen Daseinsvorsorge", erklärt Verena Wilmer. Nun gelte es für die Domus Caritas, die Verstetigung des eigenen Quartiersprojekts voranzutreiben. "Hamm und Bocholt machen es vor: Verschiedene 'Ankerpunkte' sind für eine Verstetigung notwendig - insbesondere die Kommunalpolitik könnte die entscheidenden Weichen für eine Verstetigung stellen."